Ich bin emotional abhängig

Ich bin emotional abhängig von meinem Freund. Ich mache meinen emotionalen Zustand abhängig von meinem Freund.
Ich habe in einem Beitrag über emotionale Abhängigkeit gelesen, dass die bedingungslose Akzeptanz hilft innere Widerstände zu lösen. Und das finde ich gut, denn innere Widerstände machen das, was ich weghaben möchte, oft noch viel präsenter und größer in meinem eigenen Leben. Darum schreibe ich jetzt darüber, um zu schreiben was ist und es zu akzeptieren, statt wegzudrücken, statt zu unterdrücken.

Doch was bedeutet es konkret, dass ich emotional abhängig bin von meinem Partner?
Im Extremfall kann diese Abhängigkeit bedeuten, dass ich mir ein Leben ohne diesen Menschen nicht vorstellen kann.
Für mich gibt mir mein Partner eine Stabilität, die ich mir alleine nur schwer erhalten kann. Ich habe einen Halt, eine Struktur, an der ich mich festhalten kann. Wenn ich dann alleine bin, fühlt es sich manchmal an, als wenn der Boden unter meinen Füßen verschwindet, die Wände um mich herum über mir einstürzen und ich mich verloren, schutzlos und hilflos fühle.
Meine Realität gerät ins Wanken. Ich frage mich, wer ich überhaupt bin, ohne einen Partner, der mich regelmäßig spiegelt. Durch die Interaktion mit Menschen bekomme ich ein Gefühl, real zu sein. Besonders gut funktioniert das mit meinem Partner, weil ich bei ihm am ehesten das Gefühl habe ich selbst sein zu können. Dadurch stelle ich meine Identität nicht dauernd in Frage.
Das ist die existenzielle Komponente meiner Abhängigkeit, wie ich sie nenne. Existenziell, weil es um meine Identität und meine Existenz geht, die unsicher ist und die ich mit meiner Sucht versuche zu stabilisieren. Wie zu erwarten, funktioniert das leider nicht gut und ist vorallem langfristig keine Lösung.

Es gibt noch eine Komponente, die vielleicht auch dem Begriff emotional näher steht. Ich lasse zu, dass mein Freund einen großen Einfluss darauf hat, wie es mir geht und mache meinen Wert von seiner Zuneigung und Wertschätzung abhängig.
Mir ist es sehr wichtig, dass mein Freund mich gut findet und das, was ich mache gut findet. Wenn ihn etwas an mir stört, gebe ich mir entweder sehr viel Mühe es zu ändern oder, wenn ich merke, dass ich es nicht ändern möchte oder kann, mache ich mir viele Gedanken darüber, ob er mich noch gerne hat.
Es ist, also ob ich meine Partner dazu auserkoren habe, meinen Wert zu bestimmen. Und nur er hat darüber das Sagen. Das scheint sehr absurd zu sein, wenn man das von Außen betrachtet. Auch für mich. Doch in dem Moment fühlt es sich so an, dass ich notwendig sein Urteil brauche, sein Gefallen an mir, um mich gut zu fühlen und zufrieden mit mir zu sein.
Damit einher geht auch, dass ich oft Bestätigung brauche. Denn das gute Gefühl ist nicht von langer Dauer. Nagen doch die Zweifel manchmal in sekundenschnelle an der eben noch empfundenen Freude. Es ist, als wenn ich immer nach einem Zeichen suche, dass doch nicht alles ok ist. Um die Sicherheit zu bekommen, nach der ich mich sehne, um das Gefühl zu haben, die Situation kontrollieren zu können, um mich auf potentielle Verletzungen vorzubereiten. Es fehlt an Vertrauen. Vermutlich, weil ich in der Kindheit gelernt habe, dass ich meinen Beziehungspersonen nicht vertrauen kann, dass sie immer für mich da sind und mir Liebe und Wertschätzung entgegenbringen. Darum möchte ich mich beschützen. Doch der Preis daüf ist hoch. Ich kann das Leben nicht in vollen Zügen genießen. Ich trage diese Unsicherheit stetig bei mir. Die Angst, jemanden zu verärgern, jemandem nicht zu gefallen. Darum passe ich mich an, doch das macht mich und auch meinen Partner unglücklich, denn die Anpassung ist sehr anstrengend für mich und mein Freund bekommt nur eine ängstliche, blasse, angespannte Version meines bunten, vielfätigen, kraftvollen Ichs zu sehen.
Dafür ist eine Beziehung meiner Meinung nicht da. Vielmehr geht es für mich darum, die Schönheit der anderen Person in genau der Andersartigkeit zu erkennen.

Und jetzt? Emotionale Abhängigkeit auflösen
Mein Ziel ist es daher die emotionale Abhängigkeit zu meinem Freund aufzulösen. Da ich es bin, die sich von ihm abhängig macht, muss ich mich mit mir auseinandersetzen. Ich möchte lernen, alleine, ohne meinen Partner, mein Leben zu gestalten und mir Liebe, Wertschetzung und Anerkennung selbst zu geben, statt darauf zu warten, sie von jemand anderes zu bekommen.
Konkret heißt das zum einen, mehr Dinge alleine zu tun oder auch mit anderen Menschen. Diesen Blogartikel zu schreiben, gehört auch dazu. Ich möchte mir Zeit nehmen, Projekte umzusetzen, die schon lange in meinem Kopf herumschwirren. Außerdem gibt es Menschen, die ich länger nicht kontaktiert habe und denen ich auch wieder Zeit und Aufmerksamkeit schenken möchte.
Zum anderen möchte ich mich in Selbstliebe üben. Das ist für mich schwieriger zu greifen. Für mich fällt darunter Selbstfürsorge und Vertrauen in mich selbst und auch sich selbst wertzuschätzen. Ich merke, dass ich nicht viel Energie darauf verwende, mich gut zu ernähren und mich ausreichend zu bewegen. Die Enerie fließt dafür oft ins Grübeln und Sorgen machen, und mich mit der Frage beschäftigen, ob mein Freund mich mag oder nicht. Da kann ich meine Energie wesentlich besser nutzen. Zum Beispiel, um gesund für mich zu kochen und um Sport zu machen. Etwas, das ich mir schon lange wünsche, ist, wieder mehr zu lesen. Das Lesen beruhigt mich und bringt mich runter wie kaum etwas anderes. Statt zu versuchen, meine Außenwelt zu kontrollieren, könnte ich mir ein Buch nehmen und darin lesen.
Ich denke, Vertrauen in sich selbst bekommt man, in dem man sich traut, Dinge auszuprobieren. und dann merkt, was man alles schaffen kann. Bei der Wertschätzung sehe ich unsere Überzeugungen über uns selbst als großen Hebel. Oft bin ich kritisch mit mir und unzufrieden, weil ich zum Beispiel nicht alles geschafft habe, was ich mir vorgenommen habe. Hier möchte ich netter mit mir selbst sein, liebenswerter mit mir umgehen. Ich weiß, dass ich mein Bestes gebe und ein sehr liebenswerter Mensch bin. Durch einen kritischen Umgang mit mir selbst, mache ich mich selbst fertig und schwäche mich dadurch. Mir fehlt dann die Kraft, Projekte umzusetzen, die mir am Herzen liegen und für Menschen da zu sein, die mir am Herzen liegen.
Wie man liest, geht es bei dem ganzen im Grunde, um mich selbst und nicht um meinen Freund. Ich muss diese Reise für mich gehen. Doch ich hoffe, dass mein Freund mir ab und zu zuwinkt, während er seinen eigenen Weg geht. Und dass wir uns bei einer der nächsten Abzweigungen wieder treffen, um gemeinsam zu schauen, wohin wir als Nächstes zusammen hinlaufen, immer offen für eigene Abzweigungen und Trampelpfade auf der gemeinsamen Reise.


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